Saskia Reis hat in Frankfurt (Oder) Kulturwissenschaften und Jura studiert, bevor ihr Weg sie zum Journalistik-Studium an die HsH führte. Im Interview gibt die freie Journalistin, zurzeit überwiegend tätig für die Süddeutsche Zeitung, Einblicke in ihre Studienzeit in Hannover und London – und was danach folgte. Sie beschreibt ihr journalistisches Selbstverständnis, erzählt von ihrer Weiterbildung an der Universität der Künste Berlin und ihrem neuen Podcast FEMALE ART VIEW.
Saskia Reis
Interview
Wie kam es dazu, dass Du Journalistik studiert hast?
Ich war gerade für ein TV-Praktikum in Belgrad. Mit einem VHS-Camcorder machte ich dort meine ersten Bewegtbilder. Als sie über den Sender gingen, war das aufregender, befriedigender und weltbewegender als jede Klausurnote in Jura. Via Medienstudienführer informierte ich mich über Wege in den Journalismus. Doch der damalige „König*innenweg“ über ein Fachstudium mit klassischem Volontariat war mir zu langweilig. Ich wollte die Freiheiten eines Studiums, gepaart mit Hands-on-Journalismus. An der HsH gab es nur 12 Studienplätze pro Jahr. Die multimediale Ausbildung mit Semesterschwerpunkten und integriertem Praxissemester klang für mich wie das weltbeste journalistische Ausbildungsformat. Kurz vor meiner Rückkehr nach Deutschland erreichte mich die Zusage für einen Studienplatz. Und dann begann ein neues Kapitel in Niedersachsen.
Wie blickst Du zurück auf Dein Studium?
Die Studienbedingungen an der Expo Plaza waren ein Träumchen: engagierte Dozent*innen, super Technikausstattung, 24/7 zugängliche Arbeitsplätze, die Bibliothek vor Ort, und das Beste: Freiheiten ohne Ende. Gabriele Kunkel, die noch an der Fakultät lehrt, forderte und förderte vor allem visuelles Denken und kreative Praxis. Wilfried Köpke war anspruchsvoll, bot inhaltliche Schmankerl aus TV, Dramaturgie und Literaturkritik, und weckte mein Interesse für Kulturjournalismus. Ihm habe ich zu verdanken, bei der Studienstiftung des Deutschen Volkes und beim Cusanuswerk als Stipendiatin vorgeschlagen worden zu sein. Dank seines Inputs sammelte ich erste hochschulpolitische Erfahrungen in der Studienkommission. Beide Dozent*innen schrieben für mich wertvolle Referenzschreiben, die mir nicht nur bei Bewerbungen halfen. Ihr Blick auf meine Fähigkeiten erweiterte meine eigene Perspektive auf mich selbst und bestärkte mich enorm.
Hast Du auch praktische Erfahrungen außerhalb Deines Studiums gesammelt?
Ich begann eine feste Mitarbeit für das tägliche Nachrichtenmagazin von h1, Fernsehen aus Hannover, verbrachte ein Praxissemester bei einer amerikanischen Film- und TV-Produktionsfirma auf den Philippinen, interviewte den Präsidenten der tanzenden Häftlinge im Hochsicherheitsgefängnis von Cebu, wurde für den Niedersächsischen Hörfunkpreis nominiert, stapfte mit Drehteam durch den internationalsten Kleingarten Hannovers, und nutzte jede Semesterpause für Praktika, darunter NDR, rtl Hessen, Bavaria TV-Produktion usw.
Was war Deine Motivation und wie hat sich der Medienwandel und die beginnende Medienkrise auf Dich ausgewirkt?
Erfahrungen sammeln und die Grenzen ausloten dessen, was möglich ist, darum ging es mir. Parallel wuchs der digitale Online-Journalismus, eine spannende Spielwiese für Multimedia- und Digitalaffine. Doch der Stand der Digitalen war schwer; der Medienwandel wurde nicht genügend als Chance begriffen, Rollen und Positionen entstanden und entstehen zum großen Teil noch immer als Online-Entsprechung entlang des Althergebrachten. Je mehr Praktika ich machte, umso mehr zweifelte ich daran, in diesem sich umwälzenden und doch so sehr an konventionellen Formen festhaltenden Mediensystem einen Platz finden zu können, an dem ich meine Fähigkeiten einbringen und entwickeln kann. Denn: Texte schreiben, Audio, Bewegtbild, Fotografie, innovative Digitalprojekte, thematisch von Kultur bis Gesellschaft – all das wollte ich machen.
Wie bist Du dann vorgegangen?
Ich begann, experimentellere Videos zu drehen, darunter eines für die Modedesigner*innen an der Expo Plaza. Mode begriff ich als angewandte Kunst, ihre journalistische Reflexion als Teil von Kulturjournalismus. Als die University of the Arts London mit ihrem neuen Hybridstudiengang aus dem etablierten Modejournalismus- und Modefotografie-MA startete, der neue Formate in journalistischer und kreativer Modekommunikation entwickelte, wollte ich unbedingt dabei sein. Im Rahmen der künstlerischen Eignungsprüfung drehte ich vor Ort in 24h ein Designerinnenportrait auf zwei Flip-Cams, inkl. Protagonistinnen-Recherche und Schnitt – und ergatterte einen der begehrten Studienplätze.
Wie ging es in London weiter?
Neben dem Studium arbeitete ich für das Londoner Schön! Magazine, wo ich u. a. eine Interview-Kolumne mit dem Titel „On the phone with…“ entwickelte und umsetzte. Am Hörer hatte ich bekannte Persönlichkeiten der Kreativszene: Oliviero Toscani, Ellen von Unwerth, Christophe Lemaire, Polina Semionova und viele mehr. Schließlich kam mir die Idee für THE LOVESTREET, der erste Stilblog im Videoformat. Damit gewann ich den Fashion Media Award der University of the Arts London, ein Jahresstipendium für kreative Startups und eine Repräsentation durch eine Agentur. Doch ein regelmäßiges Einkommen ging damit nicht einher.
Und dann kam ein Angebot aus Berlin?
Ja, ich nahm dann das Angebot einer Berliner Agentur an, die Modekommunikation für Mercedes Benz Frankreich zu übernehmen, inkl. zweisprachige Umsetzung des ersten Mercedes-Benz France Fashion-Tumblrs und damit verbundene Events während der Fashion Week in Paris. Später war ich als Autorin involviert in den Launch von Apple Music auf dem deutschen Markt, doch der Journalismus fehlte mir. So kam es schließlich zur Weiterbildung in Kulturjournalismus an der Universität der Künste Berlin.
Wie hast Du die Corona-Pandemie bisher erlebt?
Ich machte gerade Station bei Plan W, dem Frauenwirtschaftsmagazin der Süddeutschen Zeitung, als wir die finale Heftproduktion wegen Corona ins Homeoffice verlegen mussten. Im Anschluss produzierte ich als freie Autorin Podcastfolgen für Plan W. Trotz Pandemie kehrte ich nochmal zurück nach München: diesmal an den Storytelling-Desk der Entwicklungsredaktion. Hier setzte ich multimediale Projekte in Form digitaler Storytellings um – inkl. Text, Fotos und Digital-Layout, von der Idee bis zur finalen Umsetzung. Zum Beispiel portraitierte ich Trachtler*innen in Text und Bild ebenso wie trans* Menschen aus München inkl. Sound-Cites, kurze Audio-Zitate.
Das klingt, als hätte sich die Pandemie nicht gerade negativ ausgewirkt?
Eine Krise schafft auch immer Platz für Neues: Meine Recherchereise in die Ukraine wurde wegen COVID-19 in ein digitales Format übersetzt. Das daraus resultierende Stück über queeres Leben in Kiew mit Remote-Portraits ist auf Fluter.de erschienen. Mit meinem Konzept FEMALE ART VIEW durfte ich am ersten Steady-Fellowship teilnehmen. Mit dem Projekt geht es mir darum, weiblichen und nichtbinären Perspektiven aus Kunst, Kultur und Medien einen neuen Ort der Sichtbarkeit zu schaffen. Kürzlich habe ich den Trailer veröffentlicht und arbeite nun auf den Launch des Podcasts hin. Auch für Plan W bin ich weiterhin tätig.
Was steht nun ganz aktuell an?
Gerade erst war ich als eine von zehn ausgewählten Journalist*innen in Bonn zum Medientraining für die Berichterstattung über die UN, veranstaltet von der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen und der Deutsche Welle Akademie. Es ging dabei zum einen um die Organe und Funktionsweisen der UN, aber auch um Formate für die Vermittlung komplexer UN-Themen. Außerdem wurde ich dieses Semester zum dritten Mal eingeladen das Seminar „Kommunikation mit Bild und Film: Visual Storytelling“ an der HsH zu unterrichten. Ich bin gespannt, wie sich die Hochschule als Ort der Begegnung und des Austauschs durch die Pandemie weiterhin verändert, und welche Angebote aus neuen Hybridformaten und weiteren Innovationen in der Lehre entstehen.
Auf Deinem Instagram-Kanal zeigst Du neben Deinen journalistischen Arbeiten auch Collagen, was hat es damit auf sich?
Ich arbeite gerade an einer Serie mit dem Titel „Deconstructing the image of womxn“: analoge Collagen, die sich mit dem konventionellen Bild der Frau* beschäftigen, es aufbrechen, sezieren und in ein vielschichtiges Jetzt übersetzen. Im nächsten Schritt möchte ich großformatiger arbeiten. Die Arbeiten sind eine weitere nach Außen getragene Dimension davon, Bilder, Macharten und Systeme zu hinterfragen, neu zu denken, Möglichkeiten zu ergreifen, zu erweitern, zu gestalten, immer weiter zu lernen – und über all das im Gespräch zu sein.